„Risiko statt Perfektion“ : Unter diesem Motto lieferte das „Internationale Forum des jungen Films“ im Rahmen der 69. „Berlinale“ Filme, die durch ihren formalen Reichtum bestachen

 

Zu den sicher aktuellsten Beiträgen im diesjährigen Programm des „Internationalen Forum des jungen Film“ gehörte ein französischer Dokumentarfilm, der die Revolutionsfrage stellte: In „Nos défaites“ („Our Defeats“) arbeitet Jean-Gabriel Périot mit zehn Schülern und Schülerinnen eines Gymnasiums im Pariser Vorort Ivry-sur-Seine, die sich im Wahlfach Film zusammengefunden haben. Zum Zeitpunkt der Dreharbeiten im Mai und Juni 2018 sind die Jugendlichen um die 16 Jahre alt und agieren in dem Projekt, das Kino und Politik verbindet, vor und hinter der Kamera.

Périot reinszeniert mit ihnen Szenen des Arbeitskampfes aus Agit-Prop- und kurzen Interventionsfilmen, die in der Zeit um 1968 entstanden sind. Darunter finden sich Vorlagen von Jean-Luc Godard, Alain Tanner oder Jacques Willemont, die damals das Kino als revolutionäres Medium begriffen. Von Godard stammt etwa eine in wechselnder Besetzung wiederholte Schlüsselszene, in der ein Mädchen einem Jungen ein Gedicht von Heine vorliest, das ein neues Zeitalter am Horizont durchschimmern lässt. Im Kontext der nachinszenierten Revolutionsfilme des Pariser Mai ‘68 befragt der Regisseur aus dem Off seine Laiendarsteller parallel zu Begriffen wie „Klasse“, „Engagement“ oder „Gewerkschaft“, auch zu größeren gesellschaftlichen Zusammenhängen und der Bedeutung der Politik in ihrem Leben.

Die Antworten wirken anfangs unsicher bis unbedarft. Allmählich folgt aber der Performance die Reflexion des Aufstandes, die die individuellen Perspektiven einer jungen Generation auf Politik und politisches Kino sichtbar macht. Im letzten Augenblick wird dem Film statt eines Abspanns ein Nachdreh hinzugefügt und die Jugendlichen ganz aktuell nach den Protesten der „Gelben Westen“ befragt. Dabei entsteht der Eindruck, im Dezember 2018 politischen Subjekten im Moment ihrer Konstituierung zu zusehen, als sie in Abwesenheit politischer Utopien jeweils ihren eigenen, disparaten Begriff der Politik im Hier und Jetzt entwickeln.

 

Margarete Wach
FilmDienst
14.02.2019